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„Fühle ich was ich denke oder denke ich, was ich bin“ |
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Über den subjektiven Charakter der Wahrnehmung
von Gudrun Pfennig
In meinem Beruf als Therapeutin werde ich täglich mit der Zentral-Frage der Patienten konfrontiert: „Wer bin Ich“? Daraus ergibt sich die Frage: Was ist das Ich?
Die allgemeine Auffassung setzt das Ich mit dem Begriff Identität und Seele gleich. Die Seele gilt als vom Körper unabhängig, auch wenn eine Wirkung von der Seele auf den Körper angenommen wird (z.B. Psychoimmunologie). Es bedürfte langer Ausführungen um zu beschreiben, was unter Seele in verschiedenen Religionen und Philosophien verstanden wurde und wird. Auch auf das Thema: Ist die Seele unsterblich, werde ich im Folgenden nicht näher eingehen. Ich beschränke mich auf den mir aus meinem Beruf geläufigen Begriff aus der Ich-Psychologie von Heinz Hartmann (1), Bellak und Barnett Meyers, in denen dem Ich im Sinne des Selbst konkrete Ich-Funktionen zugeordnet werden.
Meine Fragestellung lautet somit: Finden seelische Vorgange eventuell ihren Niederschlag in dem neurobiologischen Bindungsprinzip, das versucht, neuronale Verknüpfungen und Interaktion (aller) Hirnzellen untereinander zu erklären.
Ich greife deshalb die Frage nach dem Ich erneut auf.
Ist das Ich das phänomenale Selbst, - der im subjektiven Erleben unmittelbar
gegebene Inhalt des Selbstbewusstseins und :
„Gibt es ein Ich, eine Seele, was ist (Selbst-)Bewusstsein oder ist dies alles nur Korrelat neurophysiologischer und –biologischer Zusammenhänge“. Interessanter Weise werde ich durch Patienten mit einer Vielzahl von „Ich-Wahrnehmungen“ konfrontiert, die m.E. ihren Ursprung in der subjektiven Wahrnehmung haben.
Der analytischen Ansatz, mit dem ich arbeite, zeigt einen unübersehbaren Zusammenhang zwischen allgemeinen (insbesondere traumatischen) Kindheitserfahrungen und der Wahrnehmung (Interpretation von „Realitäten(?)“) bezüglich des reaktiven Verhaltens im Erwachsenenalter.
Meiner Erfahrung nach kann man hier von einer – eventuell neuronalen - Prägung, nicht im verhaltensbiologisch-unveränderbaren Sinne, sondern eher im Sinne von Sozialisation und „Aufnahme von Erfahrungen“, also dem Gedächtnis sprechen.
Wenn wir davon ausgehen, dass sich Erfahrungen als Neubildung von Hirnzellen , als neuronal-synaptische „Verschaltungen“ und damit zusammenhängende neuronale Stoffwechselvorgänge bereits pränatal manifestieren und zudem die Gehirnzellen nicht im Erwachsenenalter abgebaut werden, das Gedächtnis sich also nicht auslöschen lässt, stellt sich mir die Frage, ob nicht die „Seele“ Ausdruck einer fortdauernden neuronalen Determination ist.
Die Tatsache, dass durch die sogenannte adulte Neuroneogenese -durch Neubildung von Neuronen-auch im Erwachsenenalter zusätzlich neue Gehirnstrukturen entstehen, spricht m.E. nicht gegen eine „partiell naturalistischen Möglichkeit“, sondern eher dafür.
1. Die neurale Stammzellproliferation ist bei Patienten mit einer unipolaren
Depression nicht vermindert (2), wobei die Behandlung mit antidepressiven Medikamenten in einigen Studien einen Zuwachs an Hirnzellen zeigt (3). Umgekehrt schützt
beispielsweise der selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer Fluoxetin vor
einer Stress-induzierten Reduktion der adulten Neurogenese (2)
2. Die Proliferation (Zellteilung) hippocampaler neuraler Stammzellen ist bei an einer
Schizophrenie erkrankten Patienten signifikant vermindert. Die Behandlung mit antidepressiven und/oder antipsychotischen Medikamenten hat keinen Einfluss auf die neurale Stammzellproliferation. (2)
Eine genetische Komponente von neuronalen Stoffwechselvorgängen (Neurotransmitter), scheint zu gegenwärtigen Zeitpunkt als erwiesen: Dies trifft insbesondere für den Dopaminspiegel (spielt u.a. bei der Suchtentwicklung = Belohnungssystem), Serotoninspiegel, Noradrenalinspiegel, (Depressionen, Angsterkrankungen und Zwänge) zu.
Man hat durch bildgebende Verfahren belegen können, dass die Substitution von Neurotransmittern wie z.B. Serotonin, zu einem Neuronen-Zuwachs (adulte Neurogenese) führt.
Dasselbe geschieht bei einer Psychotherapie. Auch hier kann man je nach (Lern-)Aufwand einen Zuwachs von Neuronen feststellen. Das in der Therapie Erlernte oder der durch Medikamente hervorgerufene Neuronen-Zuwachs bildet ein neues (Ich-Selbst-)Bewusstsein.
Gegenwärtig gibt es einige Punkte in denen ich mit dem deutschen Biologen und Hirnforscher Gerhard Roth überein stimme. Wenn dieser noch – vielleicht aus religösen Gründen - postulierte: “Ignoramus et ignorabimus“ (lat. „Wir wissen es nicht und wir werden es niemals wissen“)geht Thomas Mentzinger mit seinem „phänomenale Selbst“ (4) noch etwas weiter und reduziert mentaler Phänomene ausschließlich auf Gehirnvorgänge.
Diese Reduktion gibt einer „theologisch-philosophischen“ Beurteilung eventuell zu wenig Raum. (Ich erinnere daran, dass sowohl Roth, als auch Metzinger zusätzlich Theologie studiert haben…)
Meine Beobachtung, dass Patienten sich und andere (Projektion) aus der Sicht ihrer bisherigen Erfahrungen wahrnehmen und dass ihr „in die Realität hinein agieren“ deshalb aus ihrer subjektiven Wahrnehmung und dem damit verbundenen Gedächtnis heraus resultiert, wird von einigen anderen psychotherapeutisch arbeitenden Kolleg(inn)en geteilt.
Zu den alten Erfahrungen (Erinnerungen), können durch eine Psychotherapie z.B. alte Wahrnehmungs-Selbst- und Fremdbildnisse neu formuliert, Einengungen und (unsoziale) Muster korrigiert werden.
Die Entscheidung eine Psychotherapie zu beginnen, insbesondere sich Veränderungen innerhalb einer Therapie zu stellen, setzt im Grunde den freien Willen des Patienten voraus. Ich erlebe häufig, dass sich Patienten - trotz erklärtem Willen und erheblicher Anstrengung – lange an ihren An-Sichten festhalten. Die Psychologie hat dafür pathologische Zuordnungen gefunden wie: Verweigerungshaltung, Zwangsdenken und –handlungen, Angsterkrankung… bis hin zu „nicht therapiefähig“…
Das Gehirn nimmt jeden Reiz auf und ordnet ihn - neue Neuronen bildend den bisherigen Erfahrungen zu. Trotzdem kann das „Neue“ nicht neu sein.
Ich gehe davon aus, dass in der Therapie Neu-Erlerntes nicht nur einige Zeit braucht, bis es sich neuronal manifestiert, sondern dass das Resultat eine Mischung aus (eventuell angstbesetztem) Alt und Neu ist.
Manfred Spitzer (5) schreibt zum Thema „Neurodidaktik“: „[…] das Gehirn lernt immer, es kann gar nicht anders […]“ und weiter: “[…] lernt man im positiven emotionalen Kontext, werden sie (die Inhalte) im Hippocampus gespeichert, bei negativen Emotionen dagegen im Mandelkern […]“.
Daraus folgt: Landet gelerntes Material im Mandelkern, ist eines genau nicht möglich: Der kreative (angstfreie) Umgang mit diesem Material.
Diese Erkenntnis ist in sofern bedeutend, als dass sie erklärt, weshalb Lernstörungen entstehen, bei denen neue, von außen betrachtet wertfreie, realistische und logische Inhalte - der Angstbesetzung wegen - zurück gewiesen werden. Offensichtlich führt eine Psychotherapie bei einigen Patienten allein durch die verbale Interaktion von Patient und Therapeut zu einer Aktivierung von Angst-Erinnerungs-Worten, -Gesten etc, (Trigger) und so zu einer angstüberlagerten Erinnerungsblockierung.
Wenn neurobiologische Mechanismen durch induzierende Stimulation zu komplexen Veränderungen der morphologischen Struktur an den Synapsen (auch durch aktivitätsregulierte Gene) z.B. bei der Ausbildung von Langzeit-und Kurzzeit-Gedächtnisspuren und somit zu Verhaltens-Veränderungen führen, welche Rolle spielt da die Seele?
Bei Mäusen hat man festgestellt, dass bereits pränatal (vorgeburtlich) genetisch unterrepräsentiertes Eiweiß (alpha-CaMKII) mit unreifen Hirnzellen korreliert.
Diese unreifen Zellen beeinträchtigen den Hirnstoffwechsel und in Folge dessen die Neurotransmitter Dopamanin und Glutamat. Solche Veränderungen in Gehirn sind die Ursache für sogenannte endogene seelische Erkrankungen (5). (Schizophrenie, Bipolare Störungen =Manisch-Depressive Erkrankung)s.o.
Dass sogar Angstreaktionen nach traumatischen Erlebnissen vom Hirnstoffwechsel und den oben beschriebenen Eiweiß abhängen, haben kürzlich Neurologen an Mäusen zeigen können. Mäuse mit erhöhtem alpga-CaMKII-Spiegel benahmen sich nach wiederholten Angstreizen, als sei nichts geschehen: Sie hatten offenbar das traumatische Erlebnis vergessen. Die Erinnerung war nicht nur „verschüttet“, sondern (wahrscheinlich) gelöscht. Mäuse mit einem hohen alpha-Ca-MKII-Spiegel bekamen ein Medi-kament, das diesen wieder normalisierte. Die Erinnerung kam trotzdem nicht zurück(7)..
Auch wenn es im Moment noch unwahrscheinlich scheint, dass sich dieser Prozess im Mäusehirn auf das komplexere menschliche Gehirn übertragen lässt, so ist bei dem enormen Fortschritt in der Gehirnforschung nicht nur der Nachweis stoffwechselbedinget Angst-Wahrnehmung, Angst-Reaktion nachweisbar, sondern auch ein medikamentöses
(Trauma-) Angst-Löschen nicht nur wahrscheinlich, sondern absehbar. Nach einer solchen Therapie hätte der Patient die Möglichkeit, seine nachträgliche Wahrnehmung aus dem Hippocampus zu speisen und würde nicht nur völlig anders fühlen, sondern auch anders handeln.
Am Ende müsste man fragen, ob nicht jede Wahrnehmung, auch die der Neurobiologen, der Philosophen und Theologen, -ja aller Menschen - einer ähnlichen persönlichen
(neurologisch ?) Prägung, somit einer Einengung entspricht, wie die der Patienten.
Geht dem Wissens-Erwerb und der dynamischen neuronal-synaptischen Wissens-Erweiterung eines Natur- oder Geisteswissenschaftlers nicht auch eine neurologisch determinierte Überzeugung voraus, die von deren Vorerfahrung und somit ihrer subjektiven Wahrnehmung gesteuert wird?
Thomas Metzinger nennt das etwas verkürzt und doch treffend: ko-repräsentieren (4) des Selbst…..
Bisher war ich sicher, es gibt einen freien Willen, der durch ein verantwortungsvolles Handeln zum Ausdruck kommt und somit das Resultat einer seelischen Reife ist.
Freier Wille?
Seelische Reife?
Seele?....Geist?
Nachdem ich dies geschrieben habe, freiwillig (!?),
beginne ich das Thema erneut zu überdenken.
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Ich will nicht unerwähnt lassen, dass zwischen den Geisteswissenschaften (Philosophie, insbesondere der Theologie) und der naturwissenschaftlichen Neurobiologie ein heftiger *Glaubens-Wissensstreit* entbrannt ist.
Eine neuro(bio)logisch moderate Betrachtung findet sich bei *Joachim Bauer* in seiner Darstellung von sogenannten *Spiegelneuronen*.
Durchaus fundiert, wenn auch besonders kritisch, scheint sich zur Zeit *Thomas Fuchs* - dessen Ansichten ausführlich im Blog *Alltagsphilosophie* beschrieben werden - mit der Biologie-These auseinander zu setzen.
Auf der anderen Seite des Spektrums ist neben *Wolf Singer* wohl *Manfred Spitzer* anzusiedeln. Spitzer ist m.E einer der maßgeblichen Neurobiologen, dessen einleuchtende naturwissenschaftliche Sicht zwar - wie alle Naturwissenschaft - nur den momentanen Stand aufzeigen kann, dennoch in der **Enträtselung** unserer Wahrnehmung und dem daran beteiligten Gehirn einen wichtigen Beitrag leistet.
(1) Ich-Psychologie und Anpassungsproblem [1939], 3. unveränd. Aufl., Stuttgart : Klett, 1975)
(2) Mathias Johannes Finger, Dissertation, Würzburg, November 20072008
(3) J.Thome, R. S.Duman2, F. A.Henn, Molekulare Aspekte antidepressiver Therapie, Nervenarzt 2002 • 73:595–599 © Springer-Verlag 2002
(4) Thomas Metzinger, Die Selbstmodell-Theorie der Subjektivität, Psychologie des Selbst, Weinheim
(5) Manfred Spitzer, Medizin für Pädagogik, Zeit online 39/2003 S.38
(6) Molecular Brain 2008, 1:6, Alpha-CaMKII deficiency causes immature dentate gyrus, a novel candidate endophenotype of psychiatric disorders
(7) Neuron, ,Bd. 60, S. 353, 2008
Wahrheit! Alles Lüge!
http://www.dailymotion.com/video/xu56os_wahrheit-alles-luge-hd-doku_tech#.UU8HCDeRcgc
Ist die Welt, wie wir sie sehen, tatsächlich Realität oder nur ein Produkt unseres Gehirns? Was wäre, wenn das, was wir erleben, bloß eine individuelle Illusion ist? International renommierte Wissenschaftler machen anhand anschaulicher Beispiele deutlich, wie leicht unsere Wahrnehmung - und damit unsere individuelle Realität - beeinflussbar ist.
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